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Als der Kosmos sich selbst erkannte.

11 Kosmos

Da die Ewigkeit ziemlich dauert – selbst am Anfang – war es ihm oft langweilig. Weil damals aber noch überhaupt gar nichts war, erfand er Spiele. Das Spiel, das ihm am besten gefiel, nannte er Raumfluktuationen. Es brachte ihn über die erste, doch schwierige Zeit, die es ihrerseits in der dieser Form noch gar nicht gab.

Meist verpufften diese Fluktuationen sofort, weil halt Materie und Antimaterie. Keine große Sache, nicht mal wie ein Tischfeuerwerk. Manchmal aber war es schon ganz prächtig. Da entstand für eine Sekunde ein ganzer Kosmos mit fast allem Drum und Dran. Okay, zugegeben ohne primordiale Nukleosynthese, doch ganz was Ordentliches im Vergleich. Und war fast so schnell wieder weg.

Indes, eines Tages hatte er höchst dumm geschaut! Sofern man das von „Ihm“ überhaupt ungestraft sagen darf. Zackbumm, hier ein Phasenübergang, dort eine Asymmetrie, dann eine Hyperinflation, schon war das schönste Universum geschaffen. So schnell konnte selbst er kaum schauen. Es war der einzige Tag ohne gestern, der erste Tag überhaupt. Davor gab es keine Tage, es gab ja auch keine Zeit. Er nannte ihn „Sonntag“, obwohl Sonne gab es dort noch keine. Das wollte er schnell nachholen.

Sieben Tage gab er sich Zeit. Es sollte sich hinziehen, stellte sich später heraus. Machen wir’s kurz. Das Universum wuselte vor sich hin. Ging auf wie Hefeteig. Ließ dann irgendwann mal das Licht durch, fing an, sich an unzähligen Stellen zu verklumpen. Nicht ohne akribisch alle Drehmomente und Energie und Materie in Summe zu erhalten. Was herauskam, kennt man: Sterne, Galaxien, Planeten, Monde und sonst noch eine Menge Kram.

Dann war außer denen lange nix. Dann Bakterien. Viel später dann einer, der sagte sich: Ich! Das Missverständnis dabei war, dass er glaubte, dieses „Ich“ sei der Raum innerhalb seiner Haut. Nein, wer hier „ich!“ sagte, war der Kosmos, der erstmals in dieser Geschichte zu Bewusstsein kam: Sternenstaub, der aus heiterem Himmel denken konnte und erkannte, dass es ihn gibt. Halleluja.

Der Patient, der die Heilung auf nach dem Tod verschob.

 

08 Patient

Erst bist du jung und doof. Quetschst dir mal einen Finger, holst dir was Tropisches, trinkst Kaffee literweise, bleibst in verqualmten Buden endlos wach und probierst, was das Hirn kirre macht. Trotzdem alles eitel Wonne.

Dann bekommt ihr Kinder und einen Hund, du wirst solider, isst weniger Schweinereien, drehst mit Kinderkarre und Köter täglich Runden durch den Regen. Und dann, dann fällt dir mal was auf. Nichts Beängstigendes. Dein Arzt meint, das hab‘ ich auch, das geht nicht weg. Mach dies und das, dann wird’s vielleicht besser.

Es bleibt. Irgendwas anderes kommt dazu. Mag sein etwas im Untergestell oder in der Schulter. Massage? Ja, gern! Physiotherapie? Okay, wenn ich selbst nichts machen muss. Fitnessstudio? Im Geheimen hast du zudem mal gedacht, du hättest eine Meise. Aber zum Psychiater?

Etwas später die Augen. Eine Brille fürs Fernsehen. Eine fürs Auto. Dann eine für den ganzen Tag. Du sitzt mit Kollegen im Gasthaus und es scheint, als drängten die Worte nicht mehr vollständig vom Ohrwaschel ins Sprachzentrum deines Oberstübchens.

Im Spiegel siehst du noch den, der dir aus dem ersten Führerschein entgegensah. Aber dieser Schein trügt. Ein Blick aufs Ausstellungsdatum sagt: Du bist schon zwei- bis dreimal älter als damals.

Die Lösung? Besseres Verdrängen, effizientere Schmerzmittel? Nein, was zu tun wäre, ist klar. Doch heute ist keine Zeit dafür. Ich muss noch die Nachrichten ansehen, dann essen und einen Blick ins Facebook werfen.

Aber morgen geht’s los, oder übermorgen. Das wird sonst immer schlimmer. Oder könnte es besser werden? Obwohl man älter wird? So geht es weiter. Statt seinen Körper als Tempel zu erkennen (des Rastafaris vielleicht einzig leuchtende Erkenntnis!), in dem die Seele sich eingerichtet hat, bleibt er deren schlecht gewartetes Vehikel. Man ist froh, solange es noch ruckelt. Reparaturen verschiebt man auf die Zukunft. Nur: Wenn diese Kiste wirklich kaputtgeht, kann man sich auch bei noch so aufrichtiger Reue keine neue mehr kaufen.

 

Gottes Tod

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Plötzlich fällt es einem wie Schuppen von den Augen, dass nicht der gute Alte mit grauem Bart die Menschen, sondern umgekehrt die Menschen den guten Alten mit grauem Bart erschaffen haben. Aber was nun? Kein Himmel, keine höhere Bestimmung, kein Trost, keine Aussicht auf Gerechtigkeit im Jenseits. Nur ein grundloses Diesseits, Aussicht auf Krankheit im Alter und ein absolutes Ende des eigenen Ichs ohne irgendeine paradiesische Fortsetzung.

Das scheint bitter. Wie süß und schön waren Gebet, Bibelgeschichten, Kirchen, Engel, Auferstehung! Aber bietet das Fatale am Atheismus nicht auch Chancen? Zum Beispiel die, endlich der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. „Der Herrgott wird’s schon richten“, damit ist dann fertig. Richten können es nur ich oder du. Und wenn wir uns nicht darum kümmern, dann eben Trump und Putin. Du und ich, wir haben die Wahl.

Vielleicht lenkt die gottlose Sicht unseren Blick auf handfeste statt angebliche Wunder. Beispielsweise dem, dass wir tatsächlich weiterleben, nämlich in unseren Kindern oder in den Spuren, die wir in dieser Welt in Form von Anekdoten und Schrulligkeiten, Hass und Verbrechen oder Wissen, Kreativität, Wohltaten und Liebe hinterlassen. Man fühle selbst nach, was Großeltern und Eltern an Schätzen und trojanischen Pferden in uns zurückließen.

Und angesichts dessen, was uns die Wissenschaft eröffnet – von der zehn hoch minus x-ten Sekunde nach dem Urknall bis hin zum fernen Entropietod des Universums – ist doch das Staunen über die Welt und das Leben noch viel größer geworden. Wenn wir uns dank dieses Wissens erfahren als Sternenstaub, der sich seiner selbst bewusst geworden ist und der sich Fragen über die Welt und das Leben stellen kann, bringt das Spiritualität und Transzendenz doch auf eine noch höhere Ebene. Weil noch klarer wird, dass diese Wirklichkeit nicht selbstverständlich ist. Ohne Jenseits wird das Diesseits umso wichtiger. Ohne Gott gelten keine Ausreden: Wir sind selbst gefordert, die Welt zu einem guten Ort zu machen.

Träume ökonomisieren

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Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche hat auch ihr Gutes. Im Sport zählen Transferzahlungen, im Fernsehen Einschaltquoten, beim Jogging Herzfrequenzen, beim Essen Kalorien, beim Charity Spendenrekorde, in der Politik schwarze Nullen, beim Spielen Punkte, beim Studium Credits, im Internet die Zahl der Likes. Was davon nicht im ersten Anlauf schon pekuniär verquantet wird, wird es im zweiten: Punkte, Publikumszahlen und Pulsschläge zu Piepen, Pulver und Penunzen.

Die gut gemeinte „Share Economy“ legt noch eins drauf und lässt uns das Sofa im Gästezimmer, das fast den ganzen Tag ungenutzte Auto und unser Zweitbuch gegen Bares vermieten und effizient ausbeuten. Das macht uns zum Reserveunternehmer und Hauptressourcenschoner.

Nur wenige Bereiche entziehen sich des Messbar- und Kohlemachens. Alles lässt sich in Geld umrechnen oder sogar umwandeln. Aber beispielsweise bei der Frömmigkeit fehlt uns noch die wundersame Geldvermehrung: Wie lassen sich fünfzig Ave Maria in Bares konvertieren? Doch von Ablasshandel bis Kirchensteuer gab und gibt es auch hier vernünftige Ansätze.

Sorgen bereiten allerdings Träume. Was macht man mit dem Trödel? Angeben kann man mit dem Unfug nicht, messen lassen sie sich kaum und in Geld verwandeln auch nicht. Ausgenommen du bist Traumdeuter oder Traumforscher, aber das sind Nischenphänomene, nichts für die Masse.

Wie wäre es mit Traumsharing? Für alle sehr praktisch, die nie was träumen. Man bekommt einen Traum gegen ein bisschen Copyright. Z. B. den Traum mit der Wildsau, die durch den Supermarkt wetzt, plötzlich ist sie der Pfarrer und sitzt auf dem Klo. Oder den, als einer auf der Bühne was trällern sollte, aber merkt, dass er mit Singen ja gar nichts am Hut hat, jedoch in Frauenkleidern vor vollem Saal steht. Damit wäre auch die letzte wehrhafte Bastion gegen die Ökonomisierung aller Lebensbereiche erstürmt und der Sieg des Kapitalismus unumkehrbar. Fast wie im Traum mit dem alten Opel, dessen Bremsen versagen und einen Abgrund runterrutscht.