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Am nackten Neid nagen.

07 Neid

Manche Dinge mag man nicht an sich. Und tunlichst versuchen wir, sie aus unserem Eigenbild zu vertreiben. Schlimmer als krumme Nasen, Krampfadern und dicke Bäuche sind dabei niedrige Instinkte, die wir nicht an uns lieben. Neid zum Beispiel.

Ärgerlich, wenn dieses Gefühl nicht mehr zu leugnen ist, wenn es überhandnimmt und ins Bewusstsein dringt. Dabei entsteht Neid meist nur gegenüber Mitmenschen, zu denen man eine gewisse Verbindung hat. Freunde, Nachbarn, Branchenkollegen, frühere Mitschüler, Kameraden aus der Arbeit, ein ungeliebter Verwandter. Dann zieht ausgerechnet einer dieser Deppen einen Erfolg ans Land. Könnte ja Grund zur Freude sein. Aber selber sieht man sich dastehen mit abgesägten Hosen. Ein durchschnittlicher Versager mit unerkannten Talenten.

In jungen Jahren kann Neid Ansporn sein. Aber wer den Lebenszenit schon überschritten hat, fragt sich, ob da wohl noch was zu reißen sein wird, wenn es in all den Jahren nicht geschafft wurde, wann dann doch endlich das Talent sichtbar würde und Früchte trüge, wann Ruhm, Ehre und Geld einbrächte.

Der Zug scheint abgefahren. Glanz und Gloria lassen den anderen erstrahlen. Mittelgrau bleibt die eigene Fellfarbe. Schleppend der Alltag. Ernüchternd der Kontostand.

Doch mit etwas Anstrengung müsste es noch zu schaffen sein! Was der Depp kann, kann ich auch. Positiv denken, Ärmel raufkrempeln, Motivationsvideos ansehen! Was haben die gefressen an dem Typen, seinem vorgeblichen Charme und seiner vorgeblichen Leistung? Alles doch unausgegoren.

Wir nehmen die Messlatte, stellen uns auf die Zehenspitzen und heben die Schultern, um groß zu wirken. Doch es ist der falsche Zollstock. Der Richtige liegt von uns unentdeckt im hintersten Stübchen unserer Seele. Er misst uns an anderem. Nichts, auf das wir uns gegenseitig neidisch sein müssten. Es ist somit weniger wichtig, was wir bei dieser Messung von der Skala ablesen können, sondern, dass wir diesen Zollstock überhaupt mal entdecken, bevor diese Reise durchs Leben zu Ende geht.

Der unerwünschte Bote.

06 Bote

Optimismus ist erste Bürgerpflicht. Aber sie wird einem Anfang des 21. Jahrhunderts ziemlich vermiest. Okay, um ehrlich zu sein, es war schon öfter so. Schuld daran ist immer der gleiche Kerl. Der unerwünschte Bote. Schon vor der Sintflut war er da, sagte, kauft euch Luftmatratzen. Keiner schenkte ihm Glauben.

Dann verkündete er den Tod von Elis Söhnen Hofni und Pinchas. Wenn du nur schlechte Nachrichten hast, bring besser keine, ließ man ihn wissen. Ein gewissenloser Bote richtet Unheil an, ein zuverlässiger bringt Heilung, Spruch 13,17. Danach reiste er zu Nero, Jesus, Montezuma. Immer das gleiche Dilemma. Dann vor dem Ersten Weltkrieg und vor dem Zweiten. Mahnungen, Zeichen, Pamphlete. Nutzlos. Wie will er das wissen können?

Aber er ist unbeugsam und kommt regelmäßig wieder. Manchmal hat er – Gott sei Dank – unrecht, Kubakrise und Waldsterben haben wir fast schadlos überstanden. Gentechnik, Atomkraft, was weiß der denn schon.

Jetzt ist er wieder da. Sagt, das schaut schlecht aus. Extrem schlecht. Verkauf das Auto, fahr Rad, bete, auch wenn du an nichts als den Profit glaubst. Denn fliehen kann diesmal keiner. Und wieder sind uns seine Prophezeiungen zu pessimistisch.

Dabei könnte der Optimist sonst Grund zur Freude haben. Es fallen Verkehr (3.500 pro Tag), Malaria (1.200 pro Tag) Aids, Ebola und absoluter Armut weltweit immer weniger Menschen zu Opfer, in Europa auch dem Terrorismus (unter 1 pro Tag). Seit 70 Jahren gibt’s keinen Krieg zwischen den großen Nationen.

Aber das interessiert den unerwünschten Boten angesichts der unsäglichen Dimension des Kommenden wenig. Die Pest damals war ein Kinderspiel dagegen, lässt er uns wissen. Denn, so sagt er, der Wirklichkeit ist es scheißegal, woran wir glauben. Die Natur macht, was sie will, mit dem was wir tun oder lassen. Und ihr Wille heißt Naturgesetz. Schaut rauf zur Venus: CO₂-Atmosphäre, 400 Grad Bodentemperatur. Wer das als lebensfreundlich empfindet, der trete weiter aufs Gas und spotte den unerwünschten Boten einen korrupten Lügner.

Gottes Tod

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Plötzlich fällt es einem wie Schuppen von den Augen, dass nicht der gute Alte mit grauem Bart die Menschen, sondern umgekehrt die Menschen den guten Alten mit grauem Bart erschaffen haben. Aber was nun? Kein Himmel, keine höhere Bestimmung, kein Trost, keine Aussicht auf Gerechtigkeit im Jenseits. Nur ein grundloses Diesseits, Aussicht auf Krankheit im Alter und ein absolutes Ende des eigenen Ichs ohne irgendeine paradiesische Fortsetzung.

Das scheint bitter. Wie süß und schön waren Gebet, Bibelgeschichten, Kirchen, Engel, Auferstehung! Aber bietet das Fatale am Atheismus nicht auch Chancen? Zum Beispiel die, endlich der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. „Der Herrgott wird’s schon richten“, damit ist dann fertig. Richten können es nur ich oder du. Und wenn wir uns nicht darum kümmern, dann eben Trump und Putin. Du und ich, wir haben die Wahl.

Vielleicht lenkt die gottlose Sicht unseren Blick auf handfeste statt angebliche Wunder. Beispielsweise dem, dass wir tatsächlich weiterleben, nämlich in unseren Kindern oder in den Spuren, die wir in dieser Welt in Form von Anekdoten und Schrulligkeiten, Hass und Verbrechen oder Wissen, Kreativität, Wohltaten und Liebe hinterlassen. Man fühle selbst nach, was Großeltern und Eltern an Schätzen und trojanischen Pferden in uns zurückließen.

Und angesichts dessen, was uns die Wissenschaft eröffnet – von der zehn hoch minus x-ten Sekunde nach dem Urknall bis hin zum fernen Entropietod des Universums – ist doch das Staunen über die Welt und das Leben noch viel größer geworden. Wenn wir uns dank dieses Wissens erfahren als Sternenstaub, der sich seiner selbst bewusst geworden ist und der sich Fragen über die Welt und das Leben stellen kann, bringt das Spiritualität und Transzendenz doch auf eine noch höhere Ebene. Weil noch klarer wird, dass diese Wirklichkeit nicht selbstverständlich ist. Ohne Jenseits wird das Diesseits umso wichtiger. Ohne Gott gelten keine Ausreden: Wir sind selbst gefordert, die Welt zu einem guten Ort zu machen.

Das Messer in der Lade

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Der Glückliche wandelt zufrieden durchs Leben und wundert sich über das Unglück der anderen. Meist ist es nicht schwer zu erkennen, was bei diesen anderen krumm läuft und er ist versucht, ihnen zuzurufen: „Schaut mich an, ich bin glücklich, macht’s wie ich, ich liege richtig.“

Bis der Tag der großen Abrechnung kommt. Der kommt unverhofft. Ohne Ankündigung. Wie ein unbarmherziges Messer schneidet er sich in dein Fleisch. Und dieses Messer sagt: „Was wunderst du dich, ich bin immer schon dagewesen. Hier ist das Resultat aus all den Jahren, in denen du es geschafft hast, mich vom Pelz zu halten.“ Allein, du warst in diesen Jahren, von denen das Messer erzählt, ziemlich halbherzig, hast weggesehen und weggehört, nicht nur seine Worte, auch seine Existenz verharmlost. Und warst einst froh, als das spitze Ding endlich gut verstaut in einer sicher versperrten Schublade landete und sich nicht mehr regte, noch argumentierte, noch aufzeigte, noch drohte.

Aber irgendjemand fand deren Schlüssel. Jemand findet ihn immer. Dieser Jemand öffnet die Lade und sieht das Messer. Das ist genau so spitz und scharf wie damals. Der Finder ist der Erste, der sich dabei schneidet. Tief und blutig. Schmerz und Wut vereinen sich und er kommt zu dir mit diesem Messer und während seiner Rede zeigt er mit dessen Spitze unablässig auf dich.

Du jammerst und sagst: „Nein, ich wollte dich nicht verletzen, nichts verschweigen, nichts unter den Teppich kehren, nicht deine Hoffnung rauben, nicht erschrecken. Nur Ruhe und Harmonie wollte ich, dich schonen, dir die Wirklichkeit ersparen – und das Messer wegsperren.“

Aber vielleicht hättest du damals vor vielen Jahren schon vom Messer sprechen müssen, es zeigen und seine Gefahr und auch seinen Wert. Jetzt ist es zu spät. Neue Wunden sind zu heilen. Wenn sie denn noch zu heilen sind.

Geben wir das Messer danach wieder in eine gut versperrte Lade? Oder lernen wir vielleicht, es diesmal draußen zu lassen und mit dem darüber zu sprechen, der darüber Auskunft will?

Die andere Hand

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Während im Norden schon Laub geharkt, bald Schneebälle geworfen werden, meditiert der im Mediterranen Beherbergte noch bei der Pflege der Rasenkante. Wildwüchsiges Elefantengras wird an gedachte Geraden angeglichen. Die dazu benutzte Schere aus gut beworbenem Hause liegt satt in der Hand. In der rechten. Nicht in der linken. Man könnte ebenso versuchen, sie rechtsfüßig zu bedienen, es wäre nicht schwerer als linkshändig.

Rasenkanten zeichnet die schäbige Charaktereigenschaft aus, sich hinzuziehen um das komplette Geviert. Zwei lange Längen, zwei breite Breiten. Immer die rechte Hand. Die Linke daneben gelangweilt Geschäftigkeit vortäuschend, Gleichgewicht haltend, Storzen zupfend, Zapfen entsorgend, Unkraut ausmerzend. Die Rechte am Ermüden. Blasen, Schwielen wittern willkommene Chancen, sich zu verwirklichen.

Bis die Linke das für sie nicht ersonnene Gerät ergreift und linkisch versucht, der Rechten nachzueifern. Mühsam wird Halm um Halm zu Fall gebracht. Doch mit jedem Schnitt zeigt sich mehr Fertigkeit. Was gerade noch staksig schien, wird wenn nicht schwungvoll, so koordinierter und effizienter. Hoffnung keimt, dass die linke Hand in bisher von der rechten beherrschte Gebiete eindringt, gleichberechtigt, gleich effizient, Harmonie schaffend.

Warum diese Präferenz der immer gleichen Hand, meist der Rechten? Würde Beidhändigkeit uns nicht bereichern, flexibler, ja sogar unverletzlicher machen? Millionen Briten beweisen, dass auch mit der linken Hand der Ganghebel bedient werden kann. Millionen von Nichtbriten erbringen den gleichen Beweis umgekehrt mit Blinker und Lichthupe.

Darum lasst uns Gitarrensaiten umspannen, links klampfen, Laubrechen linksrum nehmen, Schnee- und Tennisball links schießen. Ungelenk. Aber hirnfördernd. Und lasst uns den Erfinder der Qwertz-Tastatur hochleben, der, das Verheddern von Buchstaben vermeiden wollend, ungewollt die linke Hand mit Mehrarbeit, Stimuli und dem Überschuss an Rechts-links-Ausgleich ausstattete, den wir sonst so vermissen.