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Der Stehbrunzer.

09 Stehbrunzer

Funde von Neandertalergebeinen belegen, es gab so etwas wie einen „Stehbrunzer“. Ausgrabungen seiner Siedlungsräume machen ersichtlich, er pinkelte an jeden Baum und in alle Ecken, die von urzeitlichen Felskonstellationen gebildet wurden. Reichhaltige Salzlagerstätten hier und im Himalaja zeugen noch heute davon.

Der Habitus des Stehbrunzers war gewissermaßen Imponiergehabe; leicht zu verstehen, gab es doch weder Rolex, Smartphone, Auto noch Versace. Wichtig war, beteuern die mit der Aufklärung dieses Kuriosums befassten Anthropologen, mit möglichst weitem und hohem Strahl männliche Konkurrenz auszubooten und die Gunst vieler Weibchen zu erwirken.

Aber sie übertrieben dieses Gebaren und rotteten sich nach neuerster Hypothese in einer gewaltigen Flut selbst aus. Die Religionswissenschaft rätselt, ob es sich dabei gar um die Sintflut handeln könne.

Manche aber überlebten und mischten sich nachweislich mit dem Erbgut des Homo sapiens. Mehr aber noch ist ihre heutige Existenz evident durch ihr urzeitliches Verhalten. Davon zeugen Bahnhofs-, Flughafen- und Autobahntoiletten ebenso wie öffentliche Pissoirs und private Klos.

Mit aber auch ohne Publikum bahnt sich der neandertalensische Geltungsdrang seinen Weg ins einundzwanzigste Jahrhundert und hinterlässt seine gelblichen färbenden, süß-säuerlich beduftenden Spuren an Wänden, Böden, Klobrillen und WC-Teppichen.

Nie käme der Stehbrunzer auf den Gedanken, sich zum Entleeren seiner Blase hinzusetzen, um etwa Kollateralschäden aus Hygienegründen einzudämmen. Dies käme seiner Auffassung nach Freiheitsberaubung, Demütigung, ja Entmannung gleich.

Stolz über das güldene Resultat wird das Drücken des Spülknopfes verweigert, auf dass das lauwarm schäumende Substrat auch die Nachwelt beeindrucke. Triumphierend verlässt er die mit seinem Strahl geheiligte Stätte (ohne sich am Waschbecken auch nur eines Moleküls zu entledigen, das diese magische Essenz auf den Fingern hinterlassen hat) mit dem erbauenden Gefühl, Großes vollbracht zu haben.

 

Am nackten Neid nagen.

07 Neid

Manche Dinge mag man nicht an sich. Und tunlichst versuchen wir, sie aus unserem Eigenbild zu vertreiben. Schlimmer als krumme Nasen, Krampfadern und dicke Bäuche sind dabei niedrige Instinkte, die wir nicht an uns lieben. Neid zum Beispiel.

Ärgerlich, wenn dieses Gefühl nicht mehr zu leugnen ist, wenn es überhandnimmt und ins Bewusstsein dringt. Dabei entsteht Neid meist nur gegenüber Mitmenschen, zu denen man eine gewisse Verbindung hat. Freunde, Nachbarn, Branchenkollegen, frühere Mitschüler, Kameraden aus der Arbeit, ein ungeliebter Verwandter. Dann zieht ausgerechnet einer dieser Deppen einen Erfolg ans Land. Könnte ja Grund zur Freude sein. Aber selber sieht man sich dastehen mit abgesägten Hosen. Ein durchschnittlicher Versager mit unerkannten Talenten.

In jungen Jahren kann Neid Ansporn sein. Aber wer den Lebenszenit schon überschritten hat, fragt sich, ob da wohl noch was zu reißen sein wird, wenn es in all den Jahren nicht geschafft wurde, wann dann doch endlich das Talent sichtbar würde und Früchte trüge, wann Ruhm, Ehre und Geld einbrächte.

Der Zug scheint abgefahren. Glanz und Gloria lassen den anderen erstrahlen. Mittelgrau bleibt die eigene Fellfarbe. Schleppend der Alltag. Ernüchternd der Kontostand.

Doch mit etwas Anstrengung müsste es noch zu schaffen sein! Was der Depp kann, kann ich auch. Positiv denken, Ärmel raufkrempeln, Motivationsvideos ansehen! Was haben die gefressen an dem Typen, seinem vorgeblichen Charme und seiner vorgeblichen Leistung? Alles doch unausgegoren.

Wir nehmen die Messlatte, stellen uns auf die Zehenspitzen und heben die Schultern, um groß zu wirken. Doch es ist der falsche Zollstock. Der Richtige liegt von uns unentdeckt im hintersten Stübchen unserer Seele. Er misst uns an anderem. Nichts, auf das wir uns gegenseitig neidisch sein müssten. Es ist somit weniger wichtig, was wir bei dieser Messung von der Skala ablesen können, sondern, dass wir diesen Zollstock überhaupt mal entdecken, bevor diese Reise durchs Leben zu Ende geht.

Träume ökonomisieren

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Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche hat auch ihr Gutes. Im Sport zählen Transferzahlungen, im Fernsehen Einschaltquoten, beim Jogging Herzfrequenzen, beim Essen Kalorien, beim Charity Spendenrekorde, in der Politik schwarze Nullen, beim Spielen Punkte, beim Studium Credits, im Internet die Zahl der Likes. Was davon nicht im ersten Anlauf schon pekuniär verquantet wird, wird es im zweiten: Punkte, Publikumszahlen und Pulsschläge zu Piepen, Pulver und Penunzen.

Die gut gemeinte „Share Economy“ legt noch eins drauf und lässt uns das Sofa im Gästezimmer, das fast den ganzen Tag ungenutzte Auto und unser Zweitbuch gegen Bares vermieten und effizient ausbeuten. Das macht uns zum Reserveunternehmer und Hauptressourcenschoner.

Nur wenige Bereiche entziehen sich des Messbar- und Kohlemachens. Alles lässt sich in Geld umrechnen oder sogar umwandeln. Aber beispielsweise bei der Frömmigkeit fehlt uns noch die wundersame Geldvermehrung: Wie lassen sich fünfzig Ave Maria in Bares konvertieren? Doch von Ablasshandel bis Kirchensteuer gab und gibt es auch hier vernünftige Ansätze.

Sorgen bereiten allerdings Träume. Was macht man mit dem Trödel? Angeben kann man mit dem Unfug nicht, messen lassen sie sich kaum und in Geld verwandeln auch nicht. Ausgenommen du bist Traumdeuter oder Traumforscher, aber das sind Nischenphänomene, nichts für die Masse.

Wie wäre es mit Traumsharing? Für alle sehr praktisch, die nie was träumen. Man bekommt einen Traum gegen ein bisschen Copyright. Z. B. den Traum mit der Wildsau, die durch den Supermarkt wetzt, plötzlich ist sie der Pfarrer und sitzt auf dem Klo. Oder den, als einer auf der Bühne was trällern sollte, aber merkt, dass er mit Singen ja gar nichts am Hut hat, jedoch in Frauenkleidern vor vollem Saal steht. Damit wäre auch die letzte wehrhafte Bastion gegen die Ökonomisierung aller Lebensbereiche erstürmt und der Sieg des Kapitalismus unumkehrbar. Fast wie im Traum mit dem alten Opel, dessen Bremsen versagen und einen Abgrund runterrutscht.