Der verdächtig freundliche Busfahrer.
Es gibt zwei Berufsgruppen, deren Ehrenkodex verlangt, schlecht gelaunt zu sein: Wiener Ober und andalusische Busfahrer. Auffällig, wenn sich ein einzelner von denen gegenteilig verhält.
Doch da fällt in ein und derselben Begebenheit zuerst einem Buslenker auf, dass du am falschen Bussteig wartest. Und der Fahrer des anderen Buses übernimmt dich freundlich, spricht mit dir in Sätzen, zeigt direkt Interesse.
Er weist dir den vordersten Platz, denn du bist der Erste. Auch zu anderen verhält er sich ähnlich. Eine alte Frau, die Mühe hätte, in das wenig ergonomische Gefährt einzusteigen, wird nicht etwa von der Einstiegskante geschubst, sondern mit sachtem Körpereinsatz des Fahrers ins Innere des Transportmittels gehievt.
Selbst Schülern ist er gütig gesonnen, sieht ihnen ins Antlitz, nicht nur in ihre Fahrausweise, murmelt kumpelhaft klingende Grußformeln, lässt alle rein, auch wenn die Kiste voll ist. Er hält an Zebrastreifen, benützt Blinker, verwendet die Hupe nur, um entgegenkommende Busfahrerkollegen zu grüßen.
Auch weiß er sanft zu bremsen, zu beschleunigen und scharfe Kurven zu durchfahren, sodass keiner sich genötigt sähe, die im Rücken des Vordersitzes verstauten Papiertüten vollzureihern.
Während der Fahrt nimmt er mit dir das Gespräch auf. Er redet über Erstaunliches: Epistemologie, urbaner Gartenbau, Himmelsmechanik, Marx, Mohamed, Programmiercodes, juristische Begründungslehre, Pilzrezepte, Farbenlehre nach Itten.
Plötzlich siehst du einen Schimmer über seinem Haupt, rund wie die Ringe Saturns. Du reibst dir die Augen. Du reist schon seit dem Morgengrauen und jetzt ist es die blaue Stunde zwischen Sonnenuntergang und Dunkelheit.
Du denkst, das ist kein normaler Busfahrer. Das ist – der Messias! Ertappt bei einem neuen Versuch, sich unter die Menschen zu mischen. Inkognito. Die Welt zu retten. Dann Fahrertausch. Beim ersten Kreisverkehr Vollbremsung. Flüche, die wie Blitze aus behaarten Körperöffnungen des neuen Fahrers schießen. Du bist zurück in der echten Welt.
Welch schöner Traum … und welch harter Fall zurück in die Realität. Es gab eine Zeit, da waren die Taxifahrer so, wie hier beschrieben. In der Regel waren es Studenten, die sich ihr Brot verdienen mussten. Freundlich, höflich und belesen … lange her.
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