Die Rückkehr von Frisch gewienert

Saubere Antworten auf eine unordentliche Welt.

Nach einer siebenjährigen Schrecksekunde wurde klar, diese Welt musste wieder frisch gewienert werden. Aber anders als damals. Dort bildete den Rahmen das kecke Kleinformat einer kleinen, mit Selbstbewusstsein reich ausgestatteten mitteleuropäischen Provinz. Mittlerweile aber rückte das Auge des Beobachters in eine andere Position, die über die Enge der Alpen, die Nebel des großen Sees und die Wolken, die aus nie endenden Atlantiktiefs sich immer neu formierten, hinausblicken lassen würde. Ein günstiger Aussichtspunkt näher am bauchigen Äquator denn am abgeplatteten Nordpol.

Ins Visier nimmt dieses neue Kapitel der Glosse „Frisch gewienert“ einen weiteren Kreis als früher. Sagen wir: das beobachtbare Universum unter besonderer Berücksichtigung des Planeten Erde und seiner Bewohner. Die Inhalte bewegen sich rund um die Feinabstimmung des menschlichen Seins und Zusammenwirkens mit Ausflügen ins Prinzipielle, Spezielle, Kuriose und vermeintlich Banale. Konkretisiert in zwotausend Lettern pro Ausgabe.

„Frisch gewienert“ erscheint, so der Vorsatz hält, immer mal wieder und vielleicht regelmäßiger, als es diese Formulierung vermuten lässt. Und zwar als Newsletter, den man freiwillig oder unfreiwillig (weil mit dem Autor bekannt und von ihm hinzugefügt) abonniert, als Blog unter frischgewienert.com und als Grußkarten, die man mit anderem intelligenten Leben, das über Postinfrastruktur verfügt, teilen kann.

Nachdem die rund einhundert Frisch-gewienert-Glossen aus den Jahren 2006 bis 2009 – obwohl nicht nur gedruckt, sondern auch auf einem Blog erschienen – untergingen, gemeinsam mit dem versenkten Server, auf dem sie veröffentlicht wurden, sollen sie übrigens Stück für Stück hier wiedergeboren werden. Rückdatiert versteht sich auf ihren ursprünglichen Erscheinungstag, damit der zeitliche und inhaltliche Kontext klar von den neuen Veröffentlichungen unterschieden werden kann.

Viel Spaß beim Neu- und Wiederentdecken der Glosse „Frisch gewienert“!

Der Mythos von der Wut aus dem Nichts

Eine Replik auf die Rezension von Angry Young Men in den VN vom 3. Dezember 2014

Die Uraufführung des Stücks „Angry Young Men“ war machtvoll und beeindruckend. Die Truppe rund um Aktionstheater-Regisseur Martin Gruber fesselt mit Engagement, schauspielerischem Können und Sprachgewalt. Fünf Männer, die von der ersten bis zur letzten Silbe ihres Librettos in den Bann ziehen. Die das auch dann könnten, würden ihre Texte nur einem Beipackzettel für Schmerztabletten entstammen.

Die Schrullen ihrer Charaktere nimmt man ebenso ab wie ihre Wut. Und bis hierher könnten wir das auch stehen lassen. Ein gekonntes Porträt fünf wild gewordener Männer. Doch dann kam diese Rezension in den Vorarlberger Nachrichten und mit ihr die Mutmaßung, dass dieses Stück auch auch den Grund der Wut erklären wollte. Wenn es denn diese Intention gab, so ging sie schief.

Hinter dem kraftvollen Spiel fehlte etwas. Klar, eine Handlung fehlte, bin ich versucht zu sagen. Die Collage aus monologischen Texten, Gedanken und Zitaten hatte keine Handlung. Doch sie hatte eine thematische Verdichtung, ohne Zweifel Dramaturgie. Sollte damit wirklich ausgedrückt werden, wie die „Angry Young Men“ zu ihrer Wut kamen?

Überzeugend war, wie die Charaktere interpretiert wurden. Die platten Gedankengänge selbstverliebter, besessener, sentimentalisierender, mehr oder weniger sexistischer, gewaltsam urteilender junger Männer war stellenweise geradezu kabarettistisch. Die Bestandsaufnahme des Seelenlebens der wütenden, jungen Männer war grandios. Aber die Analyse der dahinter stehenden Wut war es nicht.

Oder will jemand 100 Jahre nach Sigmund Freud allen Ernstes behaupten, eine Zerstörungswut, wie die der RAF-Terroristen, eines Flugwaffen-Oberbefehlshabers Hermann Göring oder der 9/11-Terroristen kommt aus Langeweile zustande oder aus einem, beim Modellautospiel oder „Butterverformen“ gekränkten Ego?

Wut entsteht aus Gewalt

Wut entsteht aus Gewalt und Unrecht, denen man ohnmächtig ausgeliefert ist. Aus sonst gar nichts. Und diese Wut hat nichts mit „Anfangs ganz normalen Jungs“ zu tun. Das ist naiv. Den ganz normalen Jungs, die eines Tages in den Jihad ziehen, Flüchtlingsheime anzünden oder zu mörderischen politischen Akteueren werden, wurden die Weichen schon als Kind gestellt: In Form von familiärer Gewalt. Ein alkoholkranker, prügelnder Vater, eine unbarmherzige tugendhafte Mutter, Vernachlässigung, sexuelle Übergriffe, materielle Überhäufung bei emotionalem Ausbluten. –– Die Möglichkeiten, eine Kinder- und speziell eine Knabenseele zu brechen zu versuchen sind mannigfaltig, ebenso wie die Versuche der Knaben, sich dagegen hart zu machen und furchtbare Rache zu schwören (die dann allerdings nicht die Eltern, sondern andere zu erleiden haben).

Spätestens seit Alice Miller, der bekannten Schweizer Psychoanalytikerin, die anhand gut dokumentierter Kinderschicksale deren grausame Folgen aufzeigte, wissen wir, woher die Wut kommt. Kann man Jahrzehnte nach dem Erscheinen ihrer Bücher (und Jahre nach ihrem Tod) in einem Theaterstück wie diesem diese Ursache der Wut einfach ignorieren? Macht man das, wird die Suppe ziemlich dünn und unglaubwürdig. Noch schlimmer, wenn eine Rezension diese dünne Suppe vage als Erklärung dieser mehr oder weniger unerklärlichen Wut der jungen Männer interpretiert.

Das Grauen in den Kinderstuben

Alice Miller schildert in einem ihrer Bücher unter anderem das Leben des Kindes Adolf Hitler, das von seinem Vater (der nicht nur der Onkel seiner Mutter war, sondern damals mutmaßlich lediges Kind eines jüdischen Vaters) gedemütigt und regelmäßig geprügelt, mindestens einmal fast zu Tode geschlagen wurde. Wohlgemerkt „zum Wohle des Kindes“ und im Sinne von pädagogischen Ansichten, die dazu aufforderten, den Willen des Kindes im Keime zu ersticken. Ähnlich auch der Fall eines Kindermörders, dessen eigene traurige, von Misshandlung geprägte Kindheit nicht nur den Keim, sondern den Grund seines Werdegangs aufzeigt.

Wir wissen von der ersten Generation der RAF-Terroristen, dass sechs von zehn Mitgliedern aus sehr protestantischen Familien, oft Pfarrhäusern kamen. Bekannt dafür – anders als die eher schludrigen Katholiken, die ihre Sünden wegbeichten können – besonders unbarmherzig von ihren Kindern christliche Werte abzuverlangen. Mit all diesem Wissen können wir uns mit etwas Fantasie auch vorstellen, wie es in den Kinderstuben von Mohamed Atta, Holger Meins und Hermann Göring zuging; auch, wie es zu Hause aussah bei denen, die von Europa aus in den Jihad ziehen, in Deutschland Schwarze und Roma zu Tode prügeln oder einfach nur sonst irgendwie ungewöhnlich gewaltbereit sind:  In deren Kinderstuben herrschte entweder massive körperliche oder massive psychische Gewalt – oder beides.

Natürlich ist in uns Männern eine grobe Kraft verpackt, die schnell zur Hand ist, wenn man sie reizt. Doch sie ist umso unkontrollierter und irrationaler, je mehr wir gedemütigt wurden. Dann besteht ständig die Gefahr einer Explosion. Dem als Grund aber Langeweile, Nichtanerkennung oder Kränkung von Eitelkeiten unterstellen zu wollen, ist schlicht etwas plump, anachronistisch und zeugt von Unkenntnis in der Sache. Und das steht weder einem Bühnenautor noch einem Rezensenten gut an.

Aus den Augen verloren

Wo sind sie? Sie wohnen im hintersten aller Hinterstübchen im unteren Großhirn und haben einen hübschen Zweitwohnsitz links hinter der rechten Herzklappe. Aber gesehen haben wir sie schon seit Jahrzehnten nicht mehr.

Irgendwann waren sie uns wichtig. Sie begleiteten uns auf dem Schulweg, flüsterten uns was ein, wenn der Lehrer was fragte und mit dem Bambusstock nervös auf das Pult klopfte, und wir bauten gemeinsam die schönsten Ploder in der Ach. Später dann ging’s gemeinsam auf den Jugendtanz ins Pfarrheim oder in den Schwanen, um mit unerreichbaren Schönheiten vom Riedenburg und anderer Schulen „Schleicher“ tanzen zu dürfen. Zwischendurch ließ man sich Dinge einfallen, die selbst der Stadtpolizei nicht egal waren.

Man schritt so von Tag zu Tag und Jahr zu Jahr und plötzlich hatte man Kinder, Arbeit, eine Hypothek und fünf Katzen. Man sah sich mal um, aber da waren sie schon weg, die Freunde von früher.

Nur manchmal drangen Nachrichten durch. Der eine soll erfolgreich in Amerika geworden sein, ein anderer landete verrückt in der Valduna. Der, von dem man glaubte, er komme mal ganz groß raus, hat einen Idiotenjob. Ein anderer, dem man’s nie zutraute, sei nun ein großes Tier. Ein paar sind dicker, grauer, schütterer geworden. Die meisten sind so stinknormal wie man selbst. Einige, nicht wenige, sind gestorben. Jung, zu jung. Unfälle, Drogen, Selbstmord. – Unglaublich.

Wenn du innehältst und die Türen öffnest in diese hintersten Hinterstübchen deines Gedächtnisses, dann siehst du sie. Dutzende sind es, die deine Wege gekreuzt hatten und die du deine Freunde nanntest. Im Grunde deines Herzens sind sie es immer noch. Egal ob lebend, tot, verrückt oder normal. Auch wenn wir sie nie mehr sehen werden, sie wohnen in uns mit all den gemeinsamen Zeiten und schenken allein dadurch, dass wir sie erinnern, unserem Leben Augenblicke neuerwachten alten Glücks.

Entscheidende Wendung

„Unsere“ Krise muss sich einiges gefallen lassen. Die einen beschwören sie herauf, die anderen reden sie schön. Beide tun dabei so, als wäre sie gar nicht da. Schlimmer aber ist, dass beide sie eventuell missverstehen.
Die Krise rumpelt vor unserer Tür. Wir riegeln ab, nageln die Tür zu, rammeln Möbel davor. „Soll sie doch fressen, wen sie will, bei uns kommt die nicht rein!“

Aber die Krise ist uns gar nicht böse gesinnt. Sie will nur auf einen Jass vorbeikommen, tun, was sie zu tun hat, und dann wieder gehen. Sie will uns was sagen. Allerdings hat sie kein Maul, mit dem sie sprechen könnte. Also rumpelt sie. Das ist alles, was sie kann. Aber wir erschrecken, meinen es sei der Bullemägge, der, als wir Kinder waren, und unsere Fantasie noch ausgeprägter war, im dunkeln Dickicht der Dornbirner Achauen auf uns lauerte, wenn wir zu spät vom Spielen nach Hause liefen.

Doch die Krise ist anders. Verzweifelt will sie uns klar machen, wer sie ist. Sie will rufen, ihr habt in das falsche Lexikon geschaut. Ich bedeute nicht nur „Ausweglosigkeit, Dilemma, Sackgasse, Zwangslage, Misere, Schlamassel“. Nein, ihr solltet mal ins Herkunftswörterbuch schauen, dann wüsstet ihr, ich stamme von griechisch „krísis“ ab und bedeute eigentlich „entscheidende Wendung“.

Das klingt doch gar nicht mehr so übel? Denn nebst Verderben könnte uns ein entscheidender Wendepunkt ja auch was Gutes bescheren. Wir könnten uns abwenden von alten Gedankenmustern, die offensichtlich ausgedient haben. Uns wir könnten uns Neuem zuwenden, das die alten Fehler gnadenlos über Bord wirft.

So gesehen wäre es überlegenswert, die Krise herein zu lassen, ihr einen Schnaps anzubieten und sie auf ihre Weise zeigen lassen, was sie mitteilen will. Auch wenn sie mit den Ketten rasselt und zum Fürchten aussieht. Aber vielleicht könnte ihre Botschaft dazu führen, sie eines Tages sogar zu lieben.

Staub saug er!

Wer putzt schon gern. Niemand. Zu Unrecht! Denn Putzen ist was Essenzielles. Was wäre die Welt ohne Putzen? Ein Sauhaufen. Was wäre Vorarlberg ohne Putzen? Es wäre nicht Vorarlberg. Deshalb ergreife man das Gebot der Stunde und einen Putzlumpen und lege los.

Ein Hoch den Putzkräften, die auch im emanzipierten Heute noch mehrheitlich Putzfrauen sind, sie erleichtern vielen das Leben und bewahren uns vor dem Kontakt mit verpissten Klobrillen.

Doch zumindest hin und wieder sollte man, speziell Mann, selbst zu Klobürste und WC-Ente® greifen und in Dimensionen vordringen, die kein zivilisiertes Weichei zuvor freiwillig gesehen hat.

Denn mit dem Saugen, Wedeln, Wischen, Scheuren, Bürsten zeigen sich die Dinge plötzlich in einem anderen Licht. Ecken seiner Behausung erblickt das menschliche Auge, die es noch nie bemerkt hatte. Und ausgerechnet dort wüten Spinnweben und Staublurche. Ein mikrokosmisches Sodom und Gomorrha dessen Bekämpfung eine Aufgabe ohne Ende darstellt.

Eine Herausforderung gerade für scharfsinnige Strategen, die sonst ihr Talent in Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Wissenschaft oder Bildung sinnlos vergeuden. Hier aber trennt sich die Spreu vom Weizen, hier zeigt sich, wer wirklich effizient und entschlossen ist.

In all diesem Tun wird nicht nur bisher Unbeachtetes sichtbar, sondern es wandelt sich auch der Bezug zu den eigenen vier Wänden, zu Büro und Werkstatt. Glanz und Makellosigkeit sind plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Sondern da steht Arbeit dahinter. Bauschäden zeigen sich schon im Frühstadium, die man erst bemerkt hätte, wenn’s schon zu spät gewesen wäre. Ideen, Haus und Hof umzugestalten, Verbesserungen vorzunehmen, sprudeln aus dem Hirnkästchen.

Gestärkt und glücklich entsteigt man dem Ausflug ins Putzpurgatorium. Statt durch Meditation und Coaching kam durch Saubermachen die Erleuchtung. Und der Entschluss, es wieder zu tun.

Löade und Liebe

„Load si“ ist kein neuer Anglizismus aus dem Informatikbereich, nein, es steht vorarlbergerisch für „schlechte Laune haben“, heißt wörtlich „Leid sein“ oder treffender „leidend sein“. Im Deutschen gibt es keinen Ausdruck, dessen Bedeutung deckungsgleich mit „load si“ wäre. Zu spezifisch ist die Vorarlberger Seele. Aus selbem Grund gibt es hier umgekehrt auch keine eigene Vokabeln für „lieben“ oder „Liebe“.

„Load“ kann der Bewohner des schönen Ländles auf vieles sein. Es beginnt meist zu Hause. Jemand hat die Herdplatte mit dem Riebel ungefragt zu früh abgedreht. Schon ist man load. Man liest schon vor dem ersten Biss Riebel und dem zweiten Schluck Kaffee die Sportseiten und wird noch „löader“ (erste Steigerungsstufe), weil die Unsrigen gegen den Listenletzten verloren haben.

Leicht verstimmt schreitet man auf die Straße. Dort tritt ein Mitmensch mein Recht, den Zebrastreifen zu überqueren, mit dem Gaspedal. Und schon droht die latente „Löade“ (Substantivierung) in einen massiven Zustand eklatant schlechter Laune umzuschlagen.

Zuerst wird dem Verkehrsrowdy lautstark nachgemault und mit unflätigen Handbewegungen zu verstehen gegeben, was man von ihm hält. Man flucht weiter und fantasiert Vergeltung: Wäre man nur Anwalt, man fackelte nicht lang rum. Besäße man nur eine Knarre, man ballerte ihm hinterher.

Alles in allem ein für eine gesunde Löade ideales Szenario. Denn die Gefahr, dass heute noch gute Laune aufkommt, ist gebannt. „Suload“ (Wortzusammensetzung) geht man weiter seinen Weg ins Büro, um bei der Ankunft festzustellen, dass der Lehrling verschlafen hat, die Heizung kaputt und überhaupt noch keiner da ist. Außer dem Boss und der scheint auch mit dem linken Fuß aufgestanden zu sein. Man beschließt intuitiv, mit ihm hochproduktiv seine Löade zu teilen – denn neben der Liebe ist die Löade das einzige, das mehr wird, wenn man es teilt.

Heil Hatler!

Kommt ein Fremder nach Vorarlberg, beispielsweise der deutsche Urlaubsgast oder ein Handelsreisender von jenseits des Arlbergs, mag er, erstmals den Fuß auf diese wunderbare Scholle setzend, fasziniert sein von Schönheit der Landschaft, Strammheit der Wadeln und Urgewalt der Regenschauer. Bis der erste Eingeborene, der ihm begegnet, den Mund öffnet und ihm einen ebenso einsilbigen wie martialischen Gruß in die Gehörschnecke schmettert: „Heil!“

Konsterniert zieht sich der so Gegrüßte kurzfristig zusammen auf das Format eines Schrumpfgermanen oder kleinen Braunen, je nach Herkunft. Seinen Verstand beschwichtigend, tippt er auf einen freudschen Verhörer und meint, eigentlich anders gegrüßt worden zu sein, vielleicht mit einem „Hi!“, „Heul!“ oder „Geil!“. In der Nation der Hump-Dump-Verwechslungen ja nichts Unwahrscheinliches.

Doch zu früh durchgeatmet, ein weiterer Einheimischer, ein weiterer Gruß und da ist es wieder, ein sattes „Heil!“ – Der 8. Mai 1945 ist hier offenbar in Sachen Grüßen folgenlos verstrichen. Unreflektiert begegnen sich die Bewohner dieser abgeschiedenen Berge und Täler noch immer mit diesem unheiligen „Heil“.

Mit dem Blick eines unschuldigen Kalbes strafen sie jeden, der diese heillose Grußformel infrage stellt. Heil?, das hat man hier immer schon gesagt und überhaupt.

Doch es kommt noch dicker. Dem Ignorieren folgt das Versüßen. Heil wird aus allerliebsten Schnäbelchen allerhübschster Chefsekretärinnen zu einem markerweichenden „Heile!“. Hingesäuselt mit den Obertönen zarter Schädelknochen irritiert es den Unbedarften fast so sehr wie mit Rollmöpsen belegte Nutellabrote.

Sein Heil im Alkohol suchend, begibt sich der verstörte fremdländische Wanderer resigniert in eine Gastwirtschaft im Dornbirner Hatlerdorf und philosophiert fassungslos, wie die Bewohner dieses Stadtteils nach hiesiger Sitte also konsequent zu grüßen wären: „Heil Hatler!“

(Erstmals erschienen am 2. September 2007 auf frischgwienert.volblog.at und in der „Neuen am Sonntag“. Dank an Andreas Wagner-Wehrborn für die Zusendung des Faksimiles!)