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Heil Hatler!

Kommt ein Fremder nach Vorarlberg, beispielsweise der deutsche Urlaubsgast oder ein Handelsreisender von jenseits des Arlbergs, mag er, erstmals den Fuß auf diese wunderbare Scholle setzend, fasziniert sein von Schönheit der Landschaft, Strammheit der Wadeln und Urgewalt der Regenschauer. Bis der erste Eingeborene, der ihm begegnet, den Mund öffnet und ihm einen ebenso einsilbigen wie martialischen Gruß in die Gehörschnecke schmettert: „Heil!“

Konsterniert zieht sich der so Gegrüßte kurzfristig zusammen auf das Format eines Schrumpfgermanen oder kleinen Braunen, je nach Herkunft. Seinen Verstand beschwichtigend, tippt er auf einen freudschen Verhörer und meint, eigentlich anders gegrüßt worden zu sein, vielleicht mit einem „Hi!“, „Heul!“ oder „Geil!“. In der Nation der Hump-Dump-Verwechslungen ja nichts Unwahrscheinliches.

Doch zu früh durchgeatmet, ein weiterer Einheimischer, ein weiterer Gruß und da ist es wieder, ein sattes „Heil!“ – Der 8. Mai 1945 ist hier offenbar in Sachen Grüßen folgenlos verstrichen. Unreflektiert begegnen sich die Bewohner dieser abgeschiedenen Berge und Täler noch immer mit diesem unheiligen „Heil“.

Mit dem Blick eines unschuldigen Kalbes strafen sie jeden, der diese heillose Grußformel infrage stellt. Heil?, das hat man hier immer schon gesagt und überhaupt.

Doch es kommt noch dicker. Dem Ignorieren folgt das Versüßen. Heil wird aus allerliebsten Schnäbelchen allerhübschster Chefsekretärinnen zu einem markerweichenden „Heile!“. Hingesäuselt mit den Obertönen zarter Schädelknochen irritiert es den Unbedarften fast so sehr wie mit Rollmöpsen belegte Nutellabrote.

Sein Heil im Alkohol suchend, begibt sich der verstörte fremdländische Wanderer resigniert in eine Gastwirtschaft im Dornbirner Hatlerdorf und philosophiert fassungslos, wie die Bewohner dieses Stadtteils nach hiesiger Sitte also konsequent zu grüßen wären: „Heil Hatler!“

(Erstmals erschienen am 2. September 2007 auf frischgwienert.volblog.at und in der „Neuen am Sonntag“. Dank an Andreas Wagner-Wehrborn für die Zusendung des Faksimiles!)