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Den Elefanten vor lauter Rüsseln nicht mehr sehen.

14 Elefanten

Eine Replik auf den Kommentar von Markus Städeli in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 7. Juli 2019.*

Wer nur Elefanten kennt, will alles per Rüssel lösen. Hier schreibt kein Schweizer. Sondern ein Österreicher, der in Spanien lebt. Mit exotischem Hobby: Makroökonomie. Wie dem auch sei, die angesprochene Problematik betrifft entwickelte Länder sehr ähnlich.

Wir werden immer älter. Markus Städeli meint in der NZZ den Elefanten zu erkennen und folgert rüsselreflexartig: Wir müssen länger arbeiten. Implizit wohl: Sonst lässt sich das Rentensystem nicht erhalten.

Aber der Dschungel der Volkswirtschaft ist multikausal. Die Entwicklung seit der Industriellen Revolution schrieb eine paradoxe Geschichte: Die Lebenserwartung stieg massiv – hoch leben die Erfolge von Medizin und Lebensmittelversorgung! –, während die Tages-, Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit ständig sanken.

Warum sollte diese Entwicklung abrupt die Richtung ändern? Länger leben, ergo länger arbeiten? Es lässt sich nur so erklären: Herr Städeli sieht einen viel größeren Elefanten nicht. Dabei fordern viele, dass angesichts dieses für ihn unsichtbaren Elefanten gar die „Arbeitspflicht“ abgeschafft und Grundeinkommen eingeführt werden sollten.

Der für Städeli unsichtbare Elefant heißt – Produktivitätssteigerung. Während ein Tischler früher Monate für eine Küche gebraucht hat, erzeugen heute z. B. in einem Werk im Elsass 70 Mann 600 Küchen. Täglich.

Weil das überall so ist, brauchen wir weniger zu arbeiten. Dank höherer Produktivität gewinnen (im Idealfall) alle: Der Chef durch mehr Profit, der Arbeiter durch höheren Lohn (sofern aus Angst vor den Chinesen nicht auf Lohnsteigerungsverzicht gepocht wird) und der Konsument durch niedrigere Preise. Und weil Unternehmer und Arbeiter mehr in die Pensionskasse einzahlen können, hat die mehr Geld, um alle immer früher in Rente zu schicken.

Das war die letzten 200 Jahre so. Warum sollte es nicht weiter so bleiben? Denn an den Prämissen dieser Entwicklung hat sich nichts geändert. Aber manchmal sehen wohl auch Kommentatoren der NZZ die Elefanten vor lauter Rüsseln nicht.

* Da der Kommentar in der NZZ am Sonntag online nur über die Bezahl-Variante einsehbar ist, hier ein Foto der Druckausgabe.

 

Altersglimmen

10 Altern

Wohl dem, dessen Haupt sich schon in jungen Jahren seinen Weg himmelwärts durch die Frisur bahnt. Wohl der, die schon im Spiegel in der Disco ihre ersten Fältchen entdeckt. Gesegnet der jung Ergraute! Begnadet die früh an Hinfälligkeiten Herumdokternden. Denn ihnen bleibt erspart, allzu lange der Illusion zu verfallen, jung, immer jung zu sein.

Kritisch wird die Sache, wenn die Zehnerstelle der Altersringe auf einen Wert springt, der keine Ausreden mehr zulässt. Neunundvierzig Kerzen hält eine gewöhnliche Geburtstagstorte locker aus. Bei fünfzig ächzt sie unter Wachsgewicht und Flammenhitze und verwandelt sich ohne naheliegenden Feuerlöscher in eine Gefahr für Haus, Hof und Leben.

Lange tuckert der, dessen Augen für die Anzeichen körperlichen Verfalls verschlossen blieben, läppisch von einem Jahr zum anderen, als gäbe es Jahre im Überfluss. Nichts, was man zu Ende bringen müsste, nichts, was sich nicht auf irgendwann verschieben ließe.

Doch kaum wird die magische Grenze überschritten, läuft der Zähler plötzlich schneller. Die nächsten dreihundertfünfundsechzig Tage fließen durch die Finger wie Wasser. Keine Chance, sie festzuhalten. Du rufst „Halt“, doch läufst weiter im sprichwörtlichen Hamsterrad. Du könntest auch gar nicht anders, denn wenn du es nicht weiterdrehst, dreht das Rad dich und schleift dich mit wie nasse Wäsche in der Waschmaschinentrommel.

Abspringen? Keiner hat uns auf diese Situation vorbereitet. Pubertät und Midlife-Crisis, okay, davon redet jeder und die Buchregale biegen sich unter der dazugehörenden Literatur. Aber die Krise, die man erlebt, wenn man eines Tages aufwacht und über Nacht alt geworden ist, wer redet davon? Vielleicht deshalb nicht, weil das Altern ab dem Punkt X viel zu schnell geht. Und weil es sich fast unbemerkt einschleicht. Oder, weil man es aushält. Wie anderes Unliebsames. Vielleicht sollten wir die Bremse drücken und trotz Glatze, grauer Haare, Falten und Wehwehchen fühlen, dass im Herzen unsere Jugend bis ans Ende glühen kann.